In diesem Abschnitt informieren wir über Citizen Science Projekte, die entweder durch das Grenzlandmuseum initiiert wurden oder an denen wir uns beteiligen.
Gebietstausch vom 23. Juli 1945
Vor über 75 Jahren führte der größte Gebietstausch im besetzten Deutschland zu einschneidenden territorialen Veränderungen im Harz. Im National Archive in London sind die Dokumente verwahrt, die Auskunft geben über die Ursachen der Teilung des ehemals in der britischen Zone liegenden braunschweigischen Landkreises Blankenburg (Harz). Ursächlich hierfür waren Befürchtungen der Briten für die Energieversorgung ihrer Besatzungszone, die unmittelbar mit dem damals in der Börde an der Demarkationslinie liegenden Kohlekraftwerk Harbke im Zusammenhang standen.
Das Gebiet westlich einer gedachten Linie Wismar – Magdeburg – Leipzig – Erzgebirge war im April 1945 temporär von britischen und amerikanischen Verbänden besetzt worden. So standen die westlich der Elbe gelegenen Teile der Provinz Magdeburg unter der Kontrolle der 9. US-Armee, denen britische Military Government Detachments für die Rückführung von Displaced Persons und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung unterstellt waren.
Mit der seit Mitte Mai 1945 beginnenden Ablösung der 9. US-Armee durch Verbände der britischen 21. Armeegruppe geriet die Provinz Magdeburg westlich der Elbe vollständig unter britische Kontrolle. Das für die Provinz Magdeburg zuständige britische Militärregierungsorgan wurde der Führung durch das 229 /305 Provinz Military Government Detachment mit Sitz in Hannover unterstellt.
Schon Mitte Mai 1945 erkannte diese für die Provinz Hannover und das Land Braunschweig verantwortliche Militärregierung, dass die in Jalta vereinbarte Demarkationslinie zwischen der Britischen und Sowjetischen Besatzungszone erhebliche Nachteile für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Britischen Zone bedeuten würde. Maßgeblichen Anteil daran hatten die wenigen unzerstörten und für die Energieversorgung unzureichenden Kraftwerke in der Britischen Zone. Im ersten Wochenbericht der hannoverschen Militärregierung, für den Zeitraum 10. – 17. Mai 1945, wurde die Bereitstellung elektrischer Energie für die Britische Zone dargestellt. Beachtenswert ist hier der Hinweis, wonach 65 % der verfügbaren Energie, in der Provinz Magdeburg im Kraftwerk Harbke produziert wurden. Im dritten Wochenbericht gingen die Briten sogar davon aus, dass mittelfristig elektrische Energie in großem Umfang auch aus dem Raum Leipzig in die Britische Zone durchgeleitet würde.
Umso ernüchternder nahm sich für die Briten daher der am 11. Juni 1945 von US – Präsident Truman angekündigte US – Truppenrückzug aus den temporär besetzten Gebieten in der Sowjetischen Zone aus. Auf Drängen der Sowjets, die nach der alliierten Erklärung zur Übernahme der Obersten Gewalt in Deutschland ihre Besatzungszone vollständig kontrollieren wollten, hatten die Amerikaner die Briten mit dem frühen Truppenrückzug völlig überrascht.
Die Militärregierung in Hannover sah sich dadurch veranlasst, dem Oberkommando der 21. Britischen Armeegruppe am 15. Juni 1945 einen kühnen Vorschlag zur Ausweitung der Britischen Zone nach Osten vorzulegen. Aus Gründen der angenommenen Zugehörigkeit zum niedersächsischen Wirtschaftsgebiet sollten Teile der in der Provinz Magdeburg gelegenen Landkreise Gardelegen, Haldensleben, Oschersleben, der gesamte Landkreis Wernigerode, die Stadt Halberstadt, Teile des Landkreises Quedlinburg mitsamt der Kreisstadt und Teile des thüringischen Landkreises Grafschaft Hohenstein (Nordhausen) in die Britische Zone eingegliedert werden.
Mit dem vereinbarten Rückzug der britischen und US-Truppen aus den temporär besetzten Gebieten, der am 5. Juli 1945 abgeschlossen war, wäre ein solcher Vorschlag, der den Briten die Energieversorgung auch aus dem Kraftwerk Harbke gesichert hätte, einem Affront gegen die Sowjets gleichgekommen. Um dennoch in die Verfügungsgewalt und den Besitz des so wichtigen Kraftwerkes Harbke zu gelangen, initiierte der Kommandierende General des britischen 30. Korps am 7. Juli 1945 einen alternativen Vorschlag. Auf dem Verhandlungswege sollten die Sowjets dazu gebracht werden, im Tausch gegen große Teile des braunschweigischen Landkreises Blankenburg das Kraftwerk Harbke und Teile des Landkreises Grafschaft Hohenstein (Bad Sachsa und Tettenborn) in die Britische Zone abzutreten.
Seit dem 10. Juli 1945 verhandelten die Briten unter Federführung der 21. Armeegruppe mit der Führung des 125. Garde-Schützenkorps der Roten Armee. In den Verhandlungen beharrten die Sowjets jedoch auf dem Verbleib des Kraftwerkes Harbke in ihrer Zone. Briten und Sowjets, jeweils vertreten durch die Korpskommandeure, einigten sich auf eine dauerhafte Lieferung von 75 % der Energieausstoßmenge des Kraftwerkes, gegen Kohlelieferungen aus dem in der Britischen Zone liegenden Helmstedter Revier. Für den Tausch des Ostteils des Landkreises Blankenburg forderten die Briten zur signifikanten Verkürzung der Demarkationslinie von den Sowjets die Übernahme von Bad Sachsa und Tettenborn.
Am 18. Juli 1945 ermächtigte die 21. Armeegruppe den Kommandierenden General des 30. Korps zur Ratifizierung der ausgehandelten Übereinkunft zum Austausch von Territorien zwischen der Britischen und Sowjetischen Besatzungszone. Der Termin für den Gebietstausch wurde für den 23. Juli 1945, 08.00 Uhr Ortszeit vorgesehen. Bis dahin trafen die Briten umfangreiche Maßnahmen um das für den Landkreis Blankenburg zuständige 111. Kreis Military Government Detachment und Teile ihrer 5. Infanteriedivision bereits bis zum 22. Juli 1945 aus dem abzutretenden Gebiet abzuziehen.
Um die vereinbarten Änderungen der Demarkationslinie in die Ergebnisse des Potsdamer Abkommens einfließen lassen zu können, brachte Feldmarschall Montgomery, der britische Vertreter im Alliierten Kontrollrat für Deutschland, am 30. Juli 1945, dem Tage der konstituierenden Sitzung des Kontrollrates, ein entsprechendes Memorandum ein. Sowohl aus dem Text des abgebildeten Memorandums, als auch aus dem Kartenauszug der abgebildeten Anlage C zu diesem Memorandum, kann ein scheinbarer Vorteil der Sowjets bei den zugrunde liegenden Verhandlungen angenommen werden. Mit der Abtretung des Ostteils des Landkreises Blankenburg dürften geschätzt mehr als 30.000 Menschen in die Obhut der Sowjets überstellt worden sein, bei gleichzeitiger Überstellung von geschätzt 6.000 Menschen in die Britische Zone.
Die eigentliche Bedeutung des Memorandums für die Briten geht jedoch aus diesem gar nicht unmittelbar hervor. Wenngleich sich in ihm eine für die Briten signifikante Verkürzung der Demarkationslinie ableiten lässt, bleibt die maßgebliche Regelung zur Energieversorgung der Britischen Zone und somit die eigentliche britische Intention unerwähnt.
Mit dem später im Oktober 1945 geschlossenen Harbke-Agreement sicherten sich die Briten die Stromlieferungen gegen die Lieferung von Braunkohle aus dem Helmstedter Revier bis in das Jahr 1952.
Der Gebietstausch wurde nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 nicht wieder rückgängig gemacht.